Featured image: Ferdinand Hodler, Valentine Godé-Darel one day before her death (1915), Source: Wikimedia, PD-Old-100.

Als Menschen wissen wir, dass wir eines Tages sterben werden. Wir wissen, dass der Tod unserem irdischen Leben eine Grenze setzt und dass jeder versuchte Kampf gegen ihn am Ende vergeblich bleibt. Die Ausnahmslosigkeit, mit der der Tod einen jeden Menschen betrifft, und die Ohnmacht, in welcher jeder seinem eigenen Tod gegenübersteht, lässt den Tod als radikales Widerfahrnis erscheinen. Wir erleiden den Tod und scheinen dabei in die pure Passivität gestellt.

Diese Sichtweise auf den Tod bleibt jedoch einseitig. Ihre Verabsolutierung missachtet die personale Struktur menschlichen Seins, die sich im Besonderen dadurch ausdrückt, dass wir uns als Menschen zu dem, was uns widerfährt, in einem personalen Akt verhalten können. Indem wir als Menschen um den Tod wissen, lässt sich dieser für uns nicht auf ein einzelnes Ereignis am Ende unserer irdischen Existenz begrenzen. Vielmehr leben wir in dem Wissen, dass unser Leben genau das ist, was im Tod einmal von uns zurückgefordert wird. Dadurch durchdringt und prägt der Tod unsere gesamte menschliche Existenz.

Die existentielle Bedeutung, die Tod und Sterben für den Menschen einnehmen, sind ausreichend Grund, um diese zum Gegenstand einer philosophischen Reflexion zu machen. Aus einer anthropologischen Perspektive, die stets das Humanspezifische in den Blick zu nehmen sucht, ist dabei zu fragen, was es bedeutet als Mensch zu sterben. Grundlegend für die hier folgenden Ausführungen ist die These, dass das Sterben für uns Menschen kein bloßes Widerfahrnis ist, sondern darüberhinausgehend eine Handlung impliziert, mit der wir als Menschen in einem Akt der Hingabe über unser Leben als Ganzes und damit über uns selbst verfügen können.

Die im Titel enthaltene Gegenüberstellung Sein Leben geben oder nehmen nimmt ihren Ausgang von Überlegungen des Philosophen Robert Spaemann zum personalen Sterben.[1] Aufbauend auf Spaemanns Philosophie der Person soll gezeigt werden, dass es eine dem Menschen spezifische Art und Weise des Sterbens gibt, die der Struktur seines personalen Seins im Besonderen entspricht. Dazu in Kontrast zu stellen, ist die Selbsttötung, deren Möglichkeit zwar einerseits spezifisch für das menschliche Verhältnis zum Tod ist, mit der jedoch andererseits der Mensch das Sterben eines personalen Todes gerade nicht verwirklicht.

Die Anerkennung des Lebens als Gabe bildet eine wesentliche Voraussetzung für die gesamte weitere Argumentation, weshalb im ersten Teil diese fundamentale Dimension menschlichen Seins diskutiert wird. Daran schließen sich ausgewählte erkenntnistheoretische Überlegungen an, die einer kritischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Begrenzungen eines Philosophierens über das Sterben und den Tod dienen sollen. Der Gegenüberstellung zwischen dem Sterben als jenem letzten Akt der Hingabe, den ein Mensch im Angesicht des Todes vollzieht, indem er sein Leben gibt, und der Selbsttötung als jener Handlung, durch die ein Mensch seine eigene Existenz vernichtet, indem er sich das Leben nimmt, widmet sich der Haupt- und Schlussteil der hier getroffenen Überlegungen.

Insgesamt ist zu bedenken, dass keine philosophische Betrachtung das menschliche Sterben in seiner Fülle begreifbar machen kann, nicht zuletzt, weil der Philosophierende, indem er über das Sterben nachsinnt, stets über etwas spricht, das er selbst noch nicht vollzogen hat.

1. Die Ausgangsperspektive: Menschliches Sein und die Gabe des Lebens

Die Art und Weise, wie wir Fragen zum Tod und Sterben entgegentreten, hängt wesentlich mit unserer Auffassung vom Leben und damit im Besonderen mit unserer Auffassung von uns selbst als lebendige Menschen zusammen. Dabei kann das philosophische Nachdenken Gründe für oder gegen die Wahrheit dieser Auffassungen liefern. Unstrittig bleibt jedoch, dass das Leben oder vielmehr das Lebendig-Sein die conditio sine qua non jedes Philosophierens ist. Es spannt daher auch diejenige Perspektive auf, von der ausgehend wir den Tod und das Sterben reflektieren.

Eine grundlegende Dimension, durch die sich das Leben für uns Menschen im Besonderen auszeichnet, ist die Tatsache, dass das Leben uns gegeben wurde. Wir haben unser Leben nicht selbst gemacht. Wir haben uns nicht dazu entschieden, geboren zu werden und in das irdische Leben einzutreten. Unserem Anfang in der Zeit stehen wir in ohnmächtiger Passivität gegenüber. Wir wurden im Leib unserer Mutter empfangen, wir wurden von ihr für die Dauer der Schwangerschaft getragen und am Tag unserer Geburt wurden wir von ihr zur Welt gebracht. Unser Leben ist nicht verdient. Es wurde uns gegeben, lange bevor wir uns etwas hätten verdienen können.

Diese Dimension der unverdienten Gabe des Lebens verleiht unserem Sein eine unvergleichliche Prägung. Nicht nur setzt jede unserer Handlungen, sei es ein Tun oder Unterlassen, diese Gabe voraus, sondern zugleich wählen wir durch die Art und Weise unseres Handelns einen Umgang mit dieser Gabe, welcher sich sowohl in der dankbaren Annahme als auch in der eigenmächtigen Zurückweisung derselben ausdrücken kann. Dass wir auf diese Weise zugleich über unser Sein als solches bestimmen, wird deutlich, wenn das Verhältnis von Leben und Sein in den Blick genommen wird.

Menschliches Sein als Habe des Lebens

Leben und Sein fallen beim Menschen wie auch bei allen anderen Lebewesen zusammen. Denn für alles Lebendige ist Leben Sein. In diesem Sinne schreibt Aristoteles in De anima:

„[B]ei allen Dingen ist die Ursache des Seins das Wesen, das Leben ist aber bei den Lebewesen das Sein“[2].

Robert Spaemann, der an das aristotelische Diktum mehrfach anknüpft,[3] entfaltet in seinem Werk Personen den Gedanken, dass jedoch allein von der menschlichen Person – in Abgrenzung zu den Tieren – gesagt werden kann, dass sie ihr Leben im eigentlichen Sinne nicht nur ist, sondern dieses hat: „Ihr Sein ist das Haben ihres Lebens“[4]. Diese Habe des Lebens lässt sich folglich nicht vergleichen mit jeder anderen Form der Habe. Eine Person kann ein Auto haben, für dessen Erwerb sie gearbeitet und ihren Verdienst eingelöst hat. Wenn sie es nun wieder verkauft, hat dies keinerlei Auswirkungen auf ihr Sein als solches, lediglich ihr Status des In-Besitz-Seins eines Autos ändert sich. In ähnlicher Weise, jedoch nunmehr die leibliche Existenz direkt betreffend, kann jemand einen bösartigen Tumor haben. Wird er geheilt, ist er danach noch. Er ist aber eben kein Träger dieses Tumors und folglich kein Krebskranker mehr.

Bei der Habe des Lebens verhält es sich anders, und zwar deshalb, weil es für die menschliche Person keine Verhältnisbeziehung zu ihrem Leben unabhängig von ihrem Sein gibt. Die Person kann zwar in der Reflexion einen Standpunkt außerhalb ihrer selbst einnehmen, der ihr die Möglichkeit der Selbstobjektivierung aufschließt.[5] Doch dieser Standpunkt ist kein Ort außerhalb ihres eigenen Lebens, sondern gehört vielmehr zum Leben der Person.[6] „Personen sind ihr Leben“[7], aber sie sind ihr Leben auf eine Weise, die es ihnen ermöglicht, zu ihrem Sein aufgrund der besonderen Innenstruktur personalen Lebens noch einmal in ein Verhältnis treten zu können. Sie sind fähig, sich zu ihrem eigenen Sosein zu verhalten und so eine innere Distanznahme wie auch Stellungnahme zu dem, was sie sind, zu vollziehen.[8]

Das Leben, das die Person hat, ist ihr gegeben. Vielmehr noch: Es ist ihr ungefragt gegeben, weshalb das Leben selbst, wie Spaemann feststellt, für den Menschen in gewisser Weise ein Widerfahrnis darstellt.[9] Es gehört in die Dimension des Vorgegebenen, wobei die Gebundenheit an das Sein die grundlegendste aller Bindungen ist, die Menschen erfahren können.

Wenn Spaemann schreibt, dass das Leben dem Menschen auf eine Weise widerfährt, dass dieser selbst es „leisten“ muss,[10] dann deutet er damit auf die allgemeine Tatsache hin, dass menschliche Personen Empfangende sind, die sich zu dem, was sie empfangen, notgedrungen verhalten. Der Mitvollzug des Lebens durch die Person beginnt bereits dann, wenn sie das Gegebene annimmt und sich nicht als Adressat der Gabe verschließt. Dieser Vollzug ist dabei kein einmaliger, sondern ein für die gesamte Dauer der Existenz anhaltender Prozess. Er ist nicht begrenzt auf den Moment der Zeugung oder der Geburt, sondern trägt sich durch das ganze Leben der Person hindurch.

Die Struktur menschlichen Seins wird von Spaemann charakterisiert als ein „Tunmüssen“[11], ein „Aussein-auf-Sein“[12], das Personen zu eigen ist, und das mit der Zeitgebundenheit der menschlichen Existenz, insbesondere mit der in ihr enthaltenen Zukunftsoffenheit, in Verbindung steht. Das Sein des Menschen besitzt eine Gerichtetheit, die auf die Fortsetzung von Sein zielt,[13] und aufgrund derer der Mensch sein Leben als ein „Tunmüssen“ erfährt. Diesem „Tunmüssen“ stellt Spaemann das „Hergebenmüssen“ gegenüber, welches als eine weitere Dimension das menschliche Leben in der Zeit prägt.[14]

Dadurch, dass sich in jedem Moment Gegenwärtiges in Vergangenes umformt, lebt der Mensch in der beständigen Konfrontation mit der Forderung, sein gegenwärtiges Leben herzugeben.[15] „[S]o leben wir und nehmen immer Abschied“[16], kleidet Rilke diese Grundverfassung menschlicher Existenz in dichterische Worte. Auf Seiten der Person entspricht diesem „Hergebenmüssen“ die Fähigkeit des Loslassenkönnens, die wiederum darin begründet ist, dass Personen zu ihrem Leben in einem Verhältnis der Habe stehen.[17]

Die Habe des Lebens kann einerseits im Hinblick auf gegenwärtiges Leben, andererseits im Hinblick auf das Leben als Ganzes betrachtet werden. Dabei ist es der Tod, der den Menschen zur letztgültigen Hingabe seines Lebens als Ganzes auffordert. Und es ist das Wissen des Menschen über seine Sterblichkeit, welches die Voraussetzung dafür ist, dass Menschen ihr Leben nicht nur als gegenwärtiges, sondern als ein Ganzes haben und folglich auch in einem Akt der Hingabe loslassen können.[18]

Die hier angedeuteten Zusammenhänge gilt es bei der Analyse des menschlichen Sterbens noch eingehender zu betrachten. Festgehalten werden kann, dass erst die Habe der Gabe Leben, die der Struktur personalen Seins entspricht, den Menschen dazu befähigt, sein Leben hinzugeben. Denn niemand kann geben, was er nicht hat. Und wer etwas geben kann, muss das, was er gibt, zuvor gehabt haben. Auf den Menschen bezogen bedeutet wirkliches Haben des Lebens auch wirkliches Sein. Und dieses Sein ist erst mit der Gabe des Lebens wirklich geworden.

Menschliches Sein als geborenes und sterbliches Leben

Das Bewusstwerden über die eigene Vergänglichkeit, die sich im Sterben und Tod manifestiert, begegnet uns im Alten Testament als ein Weg, um zu einer neuen Lebensform zu gelangen. So heißt es im Psalm 90,12: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“[19]

Indem der Tod den Menschen an die Begrenztheit der ihm zur Verfügung stehenden Lebenszeit erinnert, ermöglicht ihm diese Konfrontation zugleich eine tiefere Wertschätzung des augenblicklich Gegebenen als etwas Unwiederholbares und Einmaliges und prägt damit das menschliche Sein in der Zeit. Mors certa, hora incerta, lautet eine alte Weisheit, die die Gewissheit des Menschen über sein Sterbenmüssen und zugleich seine Ungewissheit über den Zeitpunkt seines Todes ausdrückt.

Für Martin Heidegger, der das menschliche Sein als Sein-zum-Tode charakterisiert, tritt der Tod als dasjenige hervor, worauf der Mensch seine gesamte Ausrichtung erfährt. Erst durch das Gewahrwerden des Todes in der Angst gelangt der Mensch zu seinem authentischen Selbst, da er in der Konfrontation mit dem Tod der unauthentischen Daseinsweise des Man enthoben wird und ihm die Möglichkeiten seines eigentlichen und uneigentlichen Selbstseins offenbar werden.[20]

Heideggers Deutung des Menschen nimmt ihren Ausgang von der sich im Tod manifestierenden Endlichkeit menschlichen Seins. Diese Perspektive tendiert jedoch dazu, einseitig zu bleiben, da sie den Menschen primär von seinem Tod her zu verstehen versucht und dabei zu wenig berücksichtigt, dass der Mensch nicht nur ein sterbliches, sondern ursprünglicher noch ein geborenes Lebewesen ist. Während Heidegger die Gebürtlichkeit des Menschen nur implizit behandelt,[21] wird diese von seiner Schülerin Hannah Arendt unter dem Begriff der Natalität umfassend ausgearbeitet. Obwohl Menschen sterben müssen, werden sie, Arendt zufolge, „nicht geboren […], um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen“[22]. Denn „[j]eder Mensch, in der Einzahl geschaffen, ist ein neuer Anfang kraft seiner Geburt.“[23] Das menschliche Sein ist nicht mehr nur ein ‚Sein-auf-etwas-hin‘, sondern ursprünglicher noch ein ‚Sein-von-etwas-her‘. Die Menschen sind ‚Geborene‘ und als solche leben sie ‚nicht in erster Linie in Richtung des Todes, sondern ausgehend von der Geburt.‘[24]

Sowohl der Tod als auch die Geburt bekunden die Endlichkeit der irdischen Existenz des Menschen und damit die Zeitgebundenheit der Gabe des Lebens. Der Tod bezeugt, dass uns das Leben einmal nicht mehr gegeben sein wird. Die Geburt sagt uns, dass uns das Leben einst noch nicht gegeben war. Da die Geburt im Gegensatz zum Sterben notwendig ein gemeinschaftlicher Akt ist, an der sowohl die Mutter, die gebiert, als auch das Kind, das geboren wird, teilhaben, steht sie eindeutiger im Zeichen der Gabe des Lebens. Denn wenn es auch Menschen gibt, die ohne einen anderen Menschen an ihrer Seite sterben müssen, so wird ein Mensch nicht ohne das Zutun seiner Mutter geboren. Es sind erst ihre Geburtswehen, die ihn das Licht der Welt erblicken lassen. Die Geburt wird so zum ersten öffentlichen Zeichen für unsere Angewiesenheit auf andere. Sie zeigt uns im Besonderen, ‚dass wir nicht allein sind. Wir werden eingegliedert in eine Familie und damit in einen Stammbaum: Wir haben einen Vater und eine Mutter, Großeltern und Urgroßeltern. Wir stammen von anderen ab.‘[25]

Das Faktum unserer Geburt erinnert uns daran, dass uns das Leben gegeben wurde, und, solange wir leben, weiter als Gabe zukommt. Diese Gerichtetheit, die es dem Menschen untersagt, sich als seinen eigenen Seins- und Lebensursprung zu betrachten, impliziert, dass wir in Bezug auf unser Leben als solches keine Eigentümer sein können. Stephan Kampowski verweist in diesem Zusammenhang auf einen Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy anlässlich des Todes eines gemeinsamen Freundes, in dem Arendt ihrer Freundin die Bedeutsamkeit der Dimension der Gabe für unseren Blick auf das Leben und den Tod tiefer erschließt:

Mary, schau, ich denke, ich weiß, wie traurig Du bist und wie schwer dieser Verlust ist. … Man könnte sein ganzes Leben als ein Gegebenwerden und Genommenwerden ansehen; das beginnt schon mit dem Leben selbst, gegeben bei der Geburt, genommen mit dem Tod; und die ganze Zeit dazwischen könnte leicht als unter demselben Gesetz stehend betrachtet werden. … 

Ich habe mir noch mal die jüdischen Totengebete angesehen: Sie, das heißt, das Kaddisch, sind ein einziges Lob Gottes, der Name des Toten wird nicht einmal erwähnt. Die dahinterliegende Vorstellung ist, was auf allen jüdischen Leichenhallen steht: Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gelobt sei der Herr. Oder: Beklage Dich nicht, wenn etwas genommen wird, das Dir gegeben war, das Du aber nicht notwendigerweise besaßest. Und vergiss nicht, um genommen zu werden, musste es erst gegeben werden. Wenn Du zu besitzen glaubtest, wenn Du vergessen hast, dass es gegeben war, dann ist das eben schlimm für Dich.[26]

Arendts Brief kann als Zeugnis für die religiöse Komponente, die in der Annahme des Lebens als Gabe enthalten zu sein scheint, gelesen werden. Da jedes Empfangen stets ein ‚Empfangen-von‘ ist, führt die Anerkennung des Lebens als Gabe unweigerlich zu der Frage nach der Herkunft dieser Gabe. Die Antwort der drei großen abrahamitischen Religionen verweist dabei schlicht auf den Schöpfergott, der als Ursprung allen Seins seinen Geschöpfen das Leben schenkt. ‚Du hast mir gegeben, dass ich sein soll‘[27], schreibt der heilige Augustinus in einem Dankeslob an Gott.

Für Arendt ist der Schöpfungsglaube jedoch keine Voraussetzung dafür, um das Leben als Gabe begreifen zu können. Im Prolog zu The Human Condition charakterisiert sie die menschliche Existenz als „eine freie Gabe von nirgendwo (weltlich gesprochen)“[28]. Das Leben lässt sich für den, dem der Glaube an einen sich offenbarenden Gott als den schenkenden Geber des Lebens fehlt, folglich als eine ‚Gabe von unbekannt‘ denken, als etwas Gegebenes, bei dem die Herkunft dieser Gabe unbestimmt bleibt. Die Verbindung des Gottgläubigen mit dem Nichtgläubigen geschieht dabei durch die Erkenntnis der Vernunft, die bezeugt, dass der Mensch nicht sein eigener Ursprung ist, er sich sein Leben nicht selbst gibt und folglich das Leben als Gabe empfängt. Beide zusammen, seine Gebürtlichkeit und seine Sterblichkeit, offenbaren dem Menschen die Kontingenz seines Seins, seine Rückbindung an einen Ursprung außerhalb seiner selbst und seine Angewiesenheit auf andere, die tief bis in den Grund seiner Existenz hineinreicht.

2. Die Möglichkeiten eines philosophischen Nachdenkens über den Tod

Die Erkundigung danach, welche Möglichkeiten des Nachdenkens sich für den Philosophierenden in Bezug auf den von ihn gewählten Gegenstand bieten, stellt sich zu Beginn einer jeden philosophischen Reflexion. Dabei wird sich dieses Ansuchen alsbald auf die Frage zuspitzen, welche Erfahrungen wir von dem entsprechenden Gegenstand machen können. Vor diesem Hintergrund scheint ein Resignieren desjenigen, der sich mit dem Tod befasst, zunächst unvermeidlich. Denn: „Von dem ‚Eigentlichen‘ des Todes […] kann niemand eine unmittelbare Erfahrung haben – es sei denn, vielleicht, der Sterbende selbst. Und diese Erfahrung, das gehört zu ihrer Natur, ist nicht mitteilbar.“[29]

Aufgrund dieses Mangels an Erfahrungen mit dem Tod als solchem, von dem ausgehend der Tod als ein geradezu unzugängliches Phänomen erscheint, haben einige Philosophen den Tod als Reflexionsgegenstand aus der Philosophie gänzlich verbannen wollen. So ist etwa für Epikur der Tod keine bedenkenswerte Realität, weil der Mensch, solange er nicht tot ist, den Tod nicht erfährt und wenn er tot ist, den Tod nicht mehr erfahren kann. „Der Tod geht uns nichts an; denn solange wir sind, ist der Tod nicht da; und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten.“[30]

Auch wenn das daraus folgende Bestreben, den Tod aus unserer gedanklichen Beschäftigung gänzlich zu verweisen, konsequent erscheinen mag, so greift dieses doch notwendig zu kurz. Die Fragen ‚Warum müssen wir sterben?‘ und ‚Was passiert nach dem Tod?‘, die wir als Kinder noch unbedarft zu stellen wissen, offenbaren die Befremdung, die wir dem Tod gegenüber empfinden. Spätestens beim Tod eines geliebten Menschen oder im Angesicht des eigenen nahenden Todes drängen sich diese Fragen wieder auf und verlangen nach Antworten. Weit entfernt von einem bloßen Ignorieren muss die philosophische Auskunft auf solche Fragen selbstverständlich von Zurückhaltung geprägt sein. Kein Philosoph kann glaubwürdig von sich behaupten, er könne sichere Antwort darauf geben, was sich im und nach dem Tod ereigne. Doch sind damit der Tod und das Sterben der philosophischen Reflexion schon von Vornherein komplett verschlossen?

Auf die Frage, ob sich über den Tod philosophieren lässt, muss als erstes geantwortet werden, dass dies seit der Geburt der Philosophie getan wurde. Omnis vita sapientis est meditatio mortis, heißt es in einem alten Diktum, welches das Nachdenken über den Tod zum schlechthinnigen Lebensinhalt des Weisen erhebt. Die weitaus interessantere und sehr viel notwendiger zu stellende Frage scheint vor diesem Hintergrund zu sein, wie sich über den Tod philosophieren lässt, eine Frage, die über das reine ob deutlich hinausgeht und somit auch die epikureische Unmöglichkeitsbekundung hinter sich lässt.

Zwei Wege

Wie aber können wir nun zu einer Erkenntnis vom Tod gelangen? In seiner Schrift Über den Tod nennt Dietrich von Hildebrand zwei Wege, auf denen uns das Phänomen des Todes tiefer erschlossen werden kann; nämlich zum einen „im Tod eines tief geliebten Menschen, zum anderen im Gedanken an den eigenen Tod, dem wir in jedem Moment unentrinnbar näherrücken.“[31]

Die These, dass der Tod für uns auf eine besondere Weise begreifbar wird, wenn wir den Tod einer geliebten Person miterleben, wurde von Paul Ludwig Landsberg in seiner im deutschsprachigen Raum weithin vergessenen Schrift Die Erfahrung des Todes auf einzigartige Weise ausgearbeitet. Landsberg tritt in diesem Werk in Anknüpfung an Augustinus für die mitfühlende Erfahrbarkeit des Todes durch die Liebe ein. Der Tod des geliebten Nächsten, so die These Landsbergs, führt den Lebenden selbst hinein in eine eigene Todeserfahrung, da durch den Tod das Zerbrechen der durch die Liebe gestifteten Gemeinschaft zwischen der sterbenden und der in diesem Leben zurückbleibenden Person besiegelt wird.[32] Diese von Liebe durchdrungene personale Gemeinschaft wird bei Landsberg demnach als eine Beziehung gedacht, in welcher der Mensch den Tod als eine Notwendigkeit erfährt, die jeden Menschen betrifft. Denn durch die Liebe, die auch den Fremden jeglicher zuvor bestehender Fremdheit oder Feindschaft zu entheben vermag, bleibt der andere Mensch nicht bloß ein anderer, sondern er wird zu einem Nächsten.[33] Ist der andere aber zu einem Nächsten geworden, so wird die Teilhabe an dessen Erfahrungen aus der durch die Liebe gestifteten Nähe in einer die eigene Existenz verwandelnden Weise möglich.[34] Diese Teilhabe an den Erfahrungen des Nächsten umschließt auch die Erfahrung des Todes, die als solche von Landsberg als humanspezifisch gedacht wird, da sie in der Liebesfähigkeit der Person begründet liegt.

Der zweite Weg, den von Hildebrand nennt, um zu einer tieferen Erkenntnis des Todes zu gelangen, findet sich exemplarisch in einem Argument Spaemanns wieder. Spaemann sieht die Möglichkeit eines philosophischen Zugangs zum Tod in der vernunftbedingten Fähigkeit von Personen erfüllt, den eigenen Tod als ein künftiges „Gewesensein-werden“[35] antizipieren zu können. Demzufolge ist der Tod für die Lebenden eine Realität, die sich in der gedanklichen Vorwegnahme eines Rückblicks auf das eigene Leben ausdrückt, welcher grundlegend dadurch gekennzeichnet ist, dass er gerade nicht als ein eigener Rückblick gedacht werden kann.[36]

Da alles Präsentische überhaupt nur ist, insofern es einmal gewesen sein wird, verweisen alle gegenwärtigen Geschehnisse bereits auf ihre Verewigung in einer vollendeten Zukunft.[37] Spaemann zufolge impliziert die für zeitliche Wesen bestehende Differenz zwischen Gegenwart und vollendeter Zukunft zwei verschiedene Zusammenhänge, unter denen das menschliche Leben betrachtet werden kann. Hierbei handelt es sich einerseits um den „vitalen Bedeutungszusammenhang“, konstituiert durch biologische oder „vitale Bedeutsamkeiten“, andererseits um die dem menschlichen Bewusstsein eigene Dimension von „Sinn“, welche einen über den vitalen Bedeutungszusammenhang hinausgehenden „Sinnzusammenhang“ aufspannt.[38]

Da Menschen Lebewesen sind und folglich zur Erhaltung ihres Lebens auf die Erfüllung ihrer vitalen Bedürfnisse angewiesen sind, haben gewisse Dinge und Vollzüge für sie eine überlebensrelevante Bedeutung. Diese Bedeutungen beziehen sich aber nur auf den jeweilig gegenwärtigen Moment, in dem die entsprechenden Bedürfnisse gestillt werden müssen. Sie sind folglich relativ auf das Vorhandensein der jeweiligen Bedürfnisse und damit auch relativ auf das Leben des Menschen, der Träger dieser Bedürfnisse ist.[39]

Das Antizipieren des Todes ist derjenige Vollzug, mit dem jegliche biologische Bedeutsamkeit in Frage gestellt wird. Vitale Bedeutsamkeit ist stets Bedeutsamkeit für das lebendige Subjekt, sodass der Tod dieses Subjekts zugleich das Ende des entsprechenden Bedeutsamkeitszusammenhangs darstellt. Als sein Ende lässt sich der Tod in diesen Zusammenhang nicht integrieren, sondern verweist stattdessen auf eine weitere Dimension, welche über diejenige bloßer vitaler Bedeutsamkeit hinausreicht. Der Tod bedeutet das „Ganzwerden des Lebens“[40] und die Antizipation dieses ganzgewordenen Lebens geschieht in der mentalen Vorwegnahme des Todes, welche wesentlich zur Struktur des menschlichen Bewusstseins gehört. Auf diese Weise ereignet sich das „Ganzwerden des Lebens“ bereits „mitten im Leben“,[41] wodurch der Mensch von jeder bloßen vitalen Bedeutsamkeit abstrahierend immer auch in die Dimension des Sinns übersteigen kann. Damit wird der Tod nicht nur zur Voraussetzung dafür, dass Menschen sich zu ihrem „Leben als zu einem Ganzen verhalten“[42], sondern auch zur „Bedingung für die Konstitution von überzeitlichem Sinn“[43], sodass Menschen ihr Leben als etwas Kostbares erfahren können.[44]

Die Offenheit des Menschen gegenüber dieser Sinndimension bedeutet zugleich, dass Menschen Wesen sind, denen es nicht ums bloße Überleben geht. Sie können auch und gerade dann Sinn erleben, wenn das Leben vom Gesichtspunkt überlebensrelevanter Bedeutsamkeit absurd erscheint.[45] Dabei ist die Möglichkeit der Sinnerfahrung an die Endlichkeit ihres Seins gekoppelt, da mit der Vorstellung eines unendlichen zeitlichen Weiterlebens alle Geschehnisse an Sinn und Kostbarkeit verlören und damit die Erfahrung von Sinn zerstört würde.[46] Diesen Zusammenhang bringt Spaemann mit dem folgenden Satz auf den Punkt: „Sinn ist im Bewußtsein der Endlichkeit gehärtete Bedeutsamkeit.“[47]

Spaemanns Argument stellt im Wesentlichen drei Dinge heraus. Erstens sind Menschen fähig, durch die gedankliche Vorwegnahme ihres Todes zu einem Wissen über ihre eigene Endlichkeit zu gelangen. Zweitens ist dieses Wissen die Ermöglichungsgrundlage dafür, dass Menschen ihr Leben nicht nur unter dem Gesichtspunkt vitaler, das heißt überlebensrelevanter Bedeutsamkeit, betrachten müssen, sondern darüberhinausgehend Interesse an etwas haben können, das über ihr eigenes Leben hinausreicht und ihnen die Erfahrung von Sinn ermöglicht. Drittens können Menschen aufgrund ihres eigenen Endlichkeitsbewusstseins, sich zu ihrem Leben als zu einem Ganzen verhalten, wodurch erst jene Habe des Lebens möglich wird, die ihr personales Sein ausmacht.

Den Zugang, den Spaemann mit seinem Argument schafft, ist vor diesem Hintergrund weniger ein Zugang zum Tod als vielmehr einer zum Leben, der jedoch erst durch das Bewusstsein des eigenen Todes und damit der eigenen Endlichkeit ermöglicht wird. Das Wissen um seine Endlichkeit führt den Menschen ein in die Habe seines Lebens als ein Ganzes und erlaubt ihm, die schlichte Einmaligkeit seines Lebens zu begreifen, eines Lebens, das mit dem Tod nicht in das Nichts fällt, sondern für immer gewesen sein wird.

3. Sein Leben geben: Sterben als Akt der Hingabe

Das Sterben lässt sich abgrenzen von jenem alles Lebendige betreffenden Vorgang des Vergehens, dessen Ende wir ‚Tod‘ nennen. Von allen Lebewesen sind Menschen die einzigen, die sterben. Der Rechtfertigungsgrund für diese Unterscheidung liegt darin begründet, dass der Tod für Menschen nicht bloß etwas ist, das ihnen widerfährt, sondern im Sterben gerade als ein Akt begriffen werden kann, den sie selbst zu leisten vermögen.

Für die Herausarbeitung der inneren Struktur dieses letzten menschlichen Aktes sind einige Voraussetzungen in den Blick zu nehmen, die notwendig erscheinen, um das Sterben, über das Widerfahrnis des Todes hinausgehend, als ein aktives Tun des Menschen denken zu können. In diesem Zusammenhang gilt es, die Struktur menschlichen Leidens aufzudecken, welche als passiv-aktiver Vollzug den Akt des Sterbens konstituiert. Das Sterben, das der Mensch als einen personalen Akt stets nur in seinem Inneren vollziehen kann, wird erst dann zu einem im höchsten Maße menschlichen Tun, wenn er den Tod als die Möglichkeit begreift, sein Leben und damit sich selbst hinzugeben.

Menschliches Leiden als Vollzug des Erlittenen

Menschen stehen dem Leid, welches sie erfahren, nicht einfach in ohnmächtiger Passivität gegenüber. Sie wählen einen Umgang, indem sie mit dem Leid ringen, es bekämpfen, ihm versuchen zu entfliehen oder es schließlich annehmen. Leiden ist – wie Leben – für Menschen nie ein bloßes Widerfahrnis. Es ist es deshalb nicht, weil es zum Leben gehört und Menschen sich zu ihrem Leben aktiv verhalten und in Beziehung setzen können.

Gerade aufgrund dieser Fähigkeit besteht für Menschen die Möglichkeit, im Leiden und gerade auch im physischen Schmerz, den sie mit den Tieren teilen, noch „etwas anderes [zu] sehen als eine bloße Beeinträchtigung des Lebens. Abwehr oder Vermeidungsstrategie sind nicht ihre einzig möglichen Reaktionen.“[48] Der Mensch, der lebensfähig ist, ist auch leidfähig. Er ist fähig, den Schmerz des Leidens – in seiner noch so unermesslichen Vielfalt – tragen zu wollen. Das eigene Leid zu tragen, bedeutet dann mehr als ein bloßes Ertragen des passiv Widerfahrenden. Es beinhaltet ein Moment der Stellungnahme, der Annahme des Leidens, welche der Mensch aktiv vollziehen kann.

Diese Annahme des widerfahrenen Leidens ist nicht gleichbedeutend mit der Haltung des Stoikers, der dem Leiden dadurch den Widerfahrnischarakter zu rauben versucht, indem er das, was sowieso geschieht, zum Gegenstand seiner willentlichen Zustimmung macht und für den es daher im strengen Sinn gar nichts gibt, was ihm widerfahren könnte.[49] Der Stoiker nimmt daher auch nicht das Leiden als Leiden an. Personales Leiden dagegen bedeutet, dass das Leiden vom Leidenden sehr wohl als etwas dem eigenen Wollen Entgegenstehendes erfahren werden kann. Es bleibt ein häufig zutiefst unerwünschtes Widerfahrnis, zu welchem die Person sich jedoch verhalten und welches sie auf diese Weise in einen Akt verwandeln kann. Sie ist fähig, das Erlittene bewusst zu vollziehen. Dabei ist Leiden nichts, was Menschen in ihrem Menschsein als solchem beeinträchtigen würde; vielmehr liegt die Unabwendbarkeit von Leiden unmittelbar in der Struktur menschlichen Seins begründet.[50]

Die Annahme des Leidens als Widerfahrnis lässt sich in Verbindung mit der Anerkennung des Lebens als Gabe betrachten. Sie steht im Zusammenhang mit der Zustimmung des Menschen dazu, das Leben für die Dauer der eigenen Existenz fortwährend als Gabe zu empfangen. Da das Leben selbst für Menschen ein Widerfahrnis ist, ist dieses zugleich etwas, das von Menschen erlitten wird. Was bedeutet hier aber ‚Erleiden‘? Spaemann weist darauf hin, dass ‚Erleiden‘ in diesem Kontext nicht in einer negativen Konnotation, sondern als ein neutraler Begriff verstanden werden muss, der das dankbare Empfangen miteinschließt.[51] Menschen erleiden ihr Leben, weil sie es als ungefragte Empfänger erhalten.[52] Dabei handelt es sich nicht um ein einmaliges Ereignis, sondern, indem Personen sind, erleiden sie ihr Leben. Es wird ihnen fortwährend gegeben, ohne dass sie je danach verlangt hätten. In diesem Sinn bedeutet Leiden sogar Leben.

Im Erleiden wird der Person etwas (vor-)gegeben. Das Leben, das der Person widerfährt, ist ein erlittenes „Tunmüssen“[53]. Es lässt sich vergleichen mit dem Schlagen des Herzens, welches der Mensch als einen seiner fortwährenden Akte erfährt, ohne ihn eigentlich bewusst zu leisten. „Leiden als Akt“[54] hingegen bedeutet ein Leiden, das die Person selbst tun muss, und zwar indem sie etwas gibt. Ein solches Leiden gehört wie das Sterben zur Dimension des „Hergebenmüssens“[55], welches in seiner letzten Gültigkeit ein Loslassenmüssen von Leben bedeutet, da das ganze Leben unter dem Gesetz des Gegeben- und Genommenwerdens steht.[56]

Dieses Hergebenmüssen von Leben gehört zwar zur Grundstruktur des zeitlichen Daseins, wird jedoch insbesondere im Leid erfahren. Jede Beeinträchtigung, die ein Mensch erfährt, beispielsweise durch eine plötzliche Erkrankung oder auch nur durch den altersbedingten Abbau der physischen und mentalen Kräfte, erfordert das Hergeben des zuvor Bestehenden. Doch um Krankheit als ein Hergeben von Gesundheit und Alterung als ein Hergeben von Kraft erfahren zu können, muss das Hergegebene zunächst gehabt und das Gehabte zuvor gegeben worden sein. Erst durch die Habe des Lebens, die das Sein der Person ausmacht, wird dem Menschen ein Akt der Hingabe möglich an ein ihm begegnendes Widerfahrnis. Dieser Akt der Hingabe ist dabei jener Vollzug des Erlittenen, welcher die Struktur menschlichen Leidens und Sterbens konstituiert.

Die Innendimension des Sterbeakts

Im Zusammenhang der bisher getroffenen Überlegungen scheint es erforderlich, zu unterstreichen, dass jeder Versuch, den Tod im Sinne eines ‚Entweder-Oder‘ einerseits als reines Widerfahrnis, welches der Mensch passiv erleidet, andererseits als aktives Tun der Person par excellence zu deuten, den Kern menschlichen Sterbens verfehlt. Denn der Tod des Menschen ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass er beide Dimensionen enthält.

Pieper, der sich dieser Mehrdimensionalität des Sterbeaktes bewusst ist, denkt das Sterben als einen „das Dasein von innen her abschließende[n] Akt“[57], den der sterbende Mensch in Freiheit vollziehen kann und in dem dieser die Möglichkeit erhält, zu einer letzten „das Daseinsganze betreffenden und darüber verfügenden Entscheidung“[58] zu gelangen. Diese Entscheidung meint dabei freilich nicht das ‚ob‘, sondern das ‚wie‘ des Sterbens, also das innere Verhältnis, welches ein Mensch in diesem seinen letzten Akt zu seinem nunmehr fast ganzgewordenen Leben einnimmt.

In Bezug auf den Akt des Sterbens weist Pieper darauf hin, dass es keinen positiven Beweis dafür geben könne, dass Menschen ihr Leben mit einem Akt jener Art beschließen, da die Innendimension des Sterbeaktes, also das, was sich im Inneren des Sterbenden selbst abspielt, einer prüfenden Betrachtung von außen natürlicherweise entzogen bleibt.[59]

Dabei betreffen die Kritikpunkte, mit denen Pieper sich befasst, im Besonderen spezifische empirische Umstände, in denen Menschen bisweilen sterben müssen, und welche die Rede vom Vollzug des Sterbens als einem bewussten Akt der Person weithin illusorisch erscheinen lassen. So stellt sich beispielsweise die Frage, wie ein Mensch, den der Tod unvorbereitet innerhalb weniger Sekunden plötzlich ereilt, sein Sterben als einen Akt einer letzten Entscheidung, einem Akt der Hingabe des eigenen Lebens, überhaupt noch vollziehen kann.[60] Bedarf es hierfür nicht einer gewissen Zeit der Vorbereitung, einen Raum, in dem der Tod einem zwar schon unausweichlich nahegerückt ist, aber doch noch nicht berührt hat? Ein zweiter Einwand bezieht sich auf Zustände stark verminderten oder fehlenden Bewusstseins, beispielsweise wenn Menschen sediert oder narkotisiert versterben.[61]

Trotz dieser augenscheinlichen Einwände hält Pieper weiter an der Möglichkeit fest, das Sterben als einen inneren Akt der Person zu denken, den diese als eine Art Gesamtverfügung über ihr Leben und letztlich als einen Akt der Hingabe vollziehen könne, und welcher dabei unabhängig von den jeweiligen Umständen des Sterbens seinen Bestand haben kann. Nicht nur bleibt das Verhältnis des menschlichen Geistes zur Zeit weithin ungeklärt, weshalb nicht festgelegt ist, wie viel Zeit benötigt wird, um das Sterben als einen Akt vollziehen zu können, sondern auch die Frage nach der inneren Bewusstseinsklarheit des Sterbenden lässt sich anhand der äußeren Erscheinung nicht letztgültig beantworten.[62]

Die Innendimension des Sterbeaktes, welcher von Natur aus stets der letzte Akt der Person ist, macht diesen für den Außenstehenden im besonderen Maße unverfügbar. Gerade darin liegt aber auch die Möglichkeit begründet, das Sterben auch dann als Chance für einen personalen Akt begreifen zu können, wenn die äußeren Umstände den Tod des Menschen als ein reines Widerfahrnis erscheinen lassen. Dass Akt und Widerfahrnis im menschlichen Sterben nicht getrennt, sondern vielmehr als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten sind, wird deutlich, wenn das Sterben vor dem Hintergrund der Struktur personalen Seins betrachtet wird.

Sterben als actus humanus

Das Wissen des Menschen um seine eigene Endlichkeit ist, Spaemann zufolge, eine der Grundbedingungen dafür, dass der Tod des Menschen nicht als bloßes Widerfahrnis, sondern als menschlicher Akt – als actus humanus – begriffen werden kann. Dieser Zusammenhang wird hergestellt durch das Leben, das der Mensch als Gabe empfängt; das Leben, das er ist und das er zugleich hat. Durch das Bewusstsein ihres bevorstehenden Todes, können sich Menschen zu ihrem Leben als zu einem Ganzen verhalten und damit im buchstäblichen Sinne ‚aufs Ganze gehen‘. Erst aufgrund ihrer Sterblichkeit sind sie dazu fähig, sich unter Einsatz ihrer ganzen Existenz an etwas außerhalb ihrer selbst hinzugeben.[63]

Ausgehend davon, dass das Sein des Menschen gerade im Haben seines Lebens besteht, kann der Tod als dasjenige Moment begriffen werden, in dem der Mensch gefordert ist, das Haben aufzugeben und einen Akt der Hingabe, nämlich die Hingabe seines Lebens und damit seiner selbst zu vollziehen. Die zugrundeliegende Struktur des Sterbens gleicht dabei der Struktur menschlichen Leidens, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der leidende Mensch, das, was er passiv erleidet, aktiv vollziehen kann. „Im personalen Sterben treten Aktivität und Passivität nicht als Extreme auseinander, sondern Passivität, Erleiden ist selbst das, was als Akt vollzogen wird.“[64]

„Sterben als Akt“ bedeutet daher, dass das Sterben als „das Zuendegehen des Lebens für den Menschen nicht einfach ein Verlöschen ist, sondern ein Letztes, das ihm zu tun abverlangt wird.“[65] Diesen letzten Akt, den der Mensch zu vollziehen fähig ist, bezeichnet Spaemann sogar als „actus humanus schlechthin“[66], wodurch er das Sterben als einen zutiefst menschlichen Akt kennzeichnet. Diese Kennzeichnung ist deshalb gerechtfertigt, weil Menschen im Sterben die einmalige Möglichkeit bekommen, ihr Leben als Ganzes herzugeben. Im Akt des Sterbens, in welchem der Mensch dem Widerfahrnis des Todes begegnet, vereinen sich die aktiv-reflexive und die passiv-rezeptive Dimension des Menschen, die sein Sein wesentlich durchformen.[67] Der Sterbende ist nicht einfach sowohl Erleidender als auch Handelnder, sondern er ist tätiger Leidender und als Leidender tätig.

Sterben als Akt ist Vollzug des Widerfahrnisses, das heißt ein aktives Vollziehen der sterbenden Person des ihr widerfahrenden Todes. Dabei kann gerade in diesem Vollzug „eine höchste Form menschlicher Freiheit und Würde“[68] verwirklicht werden. Dies ist deshalb der Fall, weil der Vollzug des Sterbens als Akt der Hingabe auf die Freiheit der Person verweist, sich zu ihrem Leben zu verhalten, welche wiederum darin grundgelegt ist, dass die Person ihr Leben nicht einfachhin ist, sondern hat. In diesem Sinne beruht ihre Fähigkeit zur Hingabe stets auf dem Besitz von dem, was hingegeben werden soll. Menschen haben ihr Leben als eine Gabe, die ihnen anvertraut ist. Nur in diesem Sinne besitzen sie ihr Leben. Daher ist die Annahme des Lebens als Gabe das, was dem Haben des Lebens stets vorgeordnet bleibt. Die Dimension der Gabe erschließt dem Menschen, dass er sein Leben nur deshalb sein Eigen nennen kann, weil er es in jedem Augenblick seiner Existenz annehmend empfängt. In Arendts Verweis auf die menschliche Existenz als „freie Gabe“[69] kommt gerade diese grundlegende Intuition zum Ausdruck. Menschen können keinen Eigentumsanspruch auf ihr Leben erheben, weil es ihnen in jedem Augenblick ihres Seins nicht notwendigerweise, sondern kontingenterweise – frei – geschenkt wird.

Im Tod wird dem Menschen das Leben genommen,[70] ja er wird sich selbst genommen, aber weil er hat, was ihm genommen wird, kann er es auch geben. Dieses Hergebenkönnen ist, wie Spaemann schreibt, „die eigentliche Bewährung wirklichen Habens“[71] und in Bezug auf die Person, deren Sein im Haben ihres Lebens besteht, folglich auch die Bezeugung wirklichen personalen Seins. Gerade deshalb aber ist der Tod die Bewährungsprobe echten personalen Lebens und wird die Hingabe seiner selbst im Sterbeakt zum letzten höchsten menschlichen Vollzug.

4. Sein Leben nehmen: Sterben durch die eigene Hand

Die in ihrem Selbstbewusstsein verankerte Fähigkeit von Menschen, sich zu ihrem Leben zu verhalten, eröffnet ihnen zugleich die Möglichkeit der Zerstörung dieses Lebens durch den Suizid[72]. Ein Mensch, der fähig ist, im Tod sein Leben zu geben, ist ebenso fähig, sich sein Leben zu nehmen. Der Suizid ist folglich ein humanspezifisches Problem. Dabei steht jede wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihm stets in der Bedrängnis, der Vielschichtigkeit dieser Wirklichkeit kaum gerecht werden zu können und das Mitempfinden der menschlichen Tragik, von der jede Selbsttötung Zeugnis gibt, zu vernachlässigen.

Was ist ein Suizid und was tut ein Mensch, der sich selbst tötet? Vor dem Hintergrund der bislang getroffenen Überlegungen stellt sich im Besonderen die Frage, ob ein Mensch durch die Tötung seiner selbst im Sterben ebenfalls einen Akt der Hingabe vollzieht oder ob er im Gegenteil durch den Suizid die Möglichkeit eines personalen Sterbens geradezu verwirkt. Um hierauf Antwort geben zu können, soll im Folgenden die Struktur der Selbsttötung als menschliche Handlung sowie das darin zum Ausdruck gebrachte Selbstverhältnis der Person in den Blick genommen werden.

Der Suizid als menschliche Handlung

Im Unterschied zu letal endenden Krankheiten, tödlichen Unfällen oder der finalen altersbedingten Erschöpfung der Lebenskräfte ist der Suizid eine menschliche Handlung.[73] Während der Tod dem Menschen normalerweise als Widerfahrnis begegnet, bewirkt derjenige, der sich selbst tötet, sein Sterben durch sein eigenes Tun.

Landsberg schlägt die folgende Definition für die Selbsttötung vor: „Sie ist der Akt, durch den ein menschliches Wesen freiwillig schafft, was es für eine wirkende und hinreichende Ursache seines eigenen Todes hält.“[74] Damit ist bereits Verschiedenes ausgesagt. Die Selbsttötung ist eine Handlung, die ein Mensch freiwillig, das heißt ohne äußere oder innere Zwänge vollzieht, indem dieser die entsprechenden Mittel wählt, die er für geeignet ansieht, um seinen eigenen Tod herbeizuführen.

Eine wichtige Unterscheidung im Kontext des Suizids betrifft jene Handlungen, in denen die handelnde Person durch ihr Agieren zum Ausdruck bringt, dass sie im Ernstfall bereit ist, den Tod auf sich zu nehmen, ohne diesen selbst direkt herbeiführen zu wollen. Man stelle sich etwa eine Mutter vor, die ihrem auf die Straße gelaufenen Kind nacheilt und sich zwischen dieses und das herannahende Auto wirft, um das Leben ihres Kindes zu retten. Landsberg verweist zudem auf die christlichen Märtyrer, die es vorzogen, sich auf oft grausamste Weise töten zu lassen, anstatt Gott zu verraten.[75] Dabei tritt er dafür ein, jene Definitionen des Suizids zurückzuweisen, die keine Unterscheidung treffen zwischen dem Märtyrertum als „dem Akt, den Tod nicht zu fliehen“ und der Selbsttötung als „dem Akt, sich den Tod zu geben.“[76] Der Märtyrer vermeidet nicht um jeden Preis den Tod. Er ist bereit, sich sein Leben für einen höheren Wert nehmen zu lassen, was ihn jedoch grundsätzlich von jenem Menschen unterscheidet, der sich sein Leben eigenmächtig nimmt.

Die Rede von der Selbsttötung und dem Suizid läuft stets Gefahr, der Vielfalt der verschiedenen Motive, vor dessen Hintergrund ein Mensch sich das Leben nimmt, nicht ausreichend Rechnung zu tragen.[77] Denn, wo liegt die Gemeinsamkeit zwischen der Selbsttötung des psychisch Erkrankten, der sich vielleicht in einem Anfall des Wahns aus dem Fenster stürzt, und dem Suizid des Philosophen, der sich aus kalter Berechnung nach Abwägung eventueller Vor- und Nachteile auf möglichst sterile Art und Weise das Leben nimmt? Wo liegt die Parallele zwischen dem Suizid des vor Liebeskummer oder Einsamkeit Verzweifelten und demjenigen des Selbstmordattentäters, der aus fanatischer Überzeugung eine Vielzahl unschuldiger Menschen mit sich in den Tod reißt? Zwischen den verschiedenen Motiven, die einen Menschen zum Suizid treiben können, liegt oft eine derart große Diskrepanz, dass eine einheitliche Bewertung schlichtweg unmöglich scheint.

Was bedeutet es aber überhaupt den Suizid als Handlung zu bewerten? Sicherlich ist damit nicht gemeint, sich ein Urteil über Menschen zu erlauben, die sich aus Gründen, die dem Urteilenden zumeist verborgen bleiben, das Leben nehmen.[78] Es wurde bereits gesagt, dass jeder Selbsttötung etwas zutiefst Tragisches anhaftet, für das jede noch so sachliche Betrachtung nie den Blick verlieren sollte. Eine moralische Beurteilung wird die Motive des Handelnden sowie das Maß der Freiheit berücksichtigen, welches ausschlaggebend dafür ist, ob und wie weit eine Person in ihrem Handeln wirklich als Handelnde präsent ist. Dies kann beispielsweise im akuten Wahn oder im Rahmen von bestimmten Intoxikationen stark eingeschränkt sein. Sicherlich ist auch der als Vorsichtsmaßnahme vorgenommene Suizid eines gefangengenommenen Spions, der die Preisgabe wichtiger Staatsgeheimnisse durch die bevorstehende Folter fürchtet, anders zu bewerten als der Suizid eines Schwerverbrechers, der sich in seiner Gefängniszelle erhängt, um dem Vollzug der Todesstrafe vorzukommen. Doch auch in diesen Fällen kann eine allgemeine Perspektive geltend gemacht werden, welche die phänomenale Ebene der Handlung als solche in den Blick nimmt und von der ausgehend gezeigt werden kann, dass der Mensch, der sich selbst tötet, die Struktur seines personalen Seins untergräbt und so die Möglichkeit eines personalen Sterbens verwirkt.

Der Suizid als Ausdruck der Nichtidentität des Menschen

„Suizid ist ein schlecht gewähltes Wort; wer tötet, ist niemals identisch mit dem, der getötet wird.“[79] Die Diskrepanz, die dem Selbsttötungsakt offensichtlich innewohnt, ist der Grund, warum der Suizid, Spaemann zufolge, als „die extremste Form der Nichtidentität des Menschen“[80] gekennzeichnet werden kann. In der Tötung ihrer selbst muss die Person sowohl die Rolle des Täters als auch die des Opfers einnehmen, ohne dass diese Rollen dabei miteinander eins werden. Aktives Tun und passives Erleiden treten im Suizid als zwei, nicht miteinander in Einklang zu bringende Extreme auseinander.[81]

Thomas Macho spricht in seiner Analyse der Selbsttötung von einer „Subjektspaltung“[82], die in der für den Suizid eigentümlichen Handlungsstruktur als „Selbsttechnik“[83] begründet liegt. Spaemann zufolge spaltet der Suizid „den Menschen einerseits in einen handelnden, nämlich den tötenden, andererseits in einen passiven Teil, der eliminiert wird und der den handelnden Teil mit in die von ihm verursachte Vernichtung schleift.“[84]

Wo aber ist die Person in ihrem Handeln präsent, wenn sie sowohl Täter als auch Opfer ist, aber beides nicht zugleich sein kann? Die Person gibt sich zwar in einem gewissen Sinne den Tod, aber auch sie muss sterben und wird vom Tod, wenn auch selbst herbeigeführt, überkommen.[85] Daher ist auch derjenige, der sich eigenmächtig das Leben nimmt, nicht dazu imstande, dem Tod den Widerfahrnischarakter vollkommen zu nehmen. Durch die radikale Selbstaufspaltung verliert die Person dabei jedoch zugleich die Möglichkeit, sich dem Widerfahrnis des Todes gegenüber zu verhalten und das Sterben in einen bewussten Akt der Hingabe des eigenen Lebens zu verwandeln. Das Handeln desjenigen, der seinen Tod selbst herbeiführt, erscheint vor diesem Hintergrund vielmehr als ein Versuch, der unausweichlichen Passivität des Todes zu entfliehen.[86]

Wenn auch die Motive vielfältig sind, die einen Menschen zum Suizid treiben, so lässt sich dennoch allgemein behaupten, dass die Selbsttötung zumeist auf dem Verlangen beruht, sich dem Leben zu entziehen, welches der Betroffene für nicht mehr lebbar oder nicht mehr wert gelebt zu werden erachtet. Ein Mensch, der sich tötet, so Landsberg, tut dies „fast immer, um dem Schmerz dieses Lebens im Hinblick auf ein unbekanntes Glück und eine unbekannte Ruhe zu entrinnen.“[87] Zwar kann eine stark melancholische Gemütslage auch zu der Verkehrung führen, dass ein Mensch sich den Tod deshalb wünscht, weil er sich selbst für so abgrundtief wertlos hält, dass er es ablehnt, dass gerade er mit dem Leben weiter beschenkt werde. Doch auch in diesem Fall will der Mensch sein Leben eigentlich deshalb loswerden, weil ihm das Gefühl der eigenen Nichtigkeit und das Wertlosigkeitsempfinden in Bezug auf seine eigene Person als nicht länger tragbar vorkommen.

Kierkegaard vermerkt in seinem Tagebuch, dass es im Wesentlichen zwei Gründe gebe, warum Menschen ihre eigene Vernichtung wollen, nämlich die Abneigung gegen das Leben selbst und das Bestreben, etwas Größeres sein zu wollen als ein Mensch.[88] Der Mensch, der sich selbst tötet, akzeptiert sein Leben nicht als etwas, das ihm gegeben wird, sondern er nimmt es sich, um es nicht weiter als Gabe empfangen zu müssen. Die Tötung seiner selbst ist daher nicht nur ein Greifen nach dem Tod, sondern auch ein Akt der Selbstermächtigung in Bezug auf das Leben, mit welchem der Mensch zum Ausdruck bringt, dass er nicht weiter die Rolle des Empfangenden einnehmen will. Während die Vorgängigkeit des Aktes, mit dem der Mensch ins Leben gerufen wird, schlichtweg ausschließt, dass er sich zu seinem eigenen Lebensspender erhebt, so kann der Mensch doch zum eigenen Todesspender werden, zumindest insoweit er den Prozess seines Sterbens eigenmächtig anstößt. Vor diesem Hintergrund kann Kierkegaard zugestimmt werden, dass der Suizidwillige am Ende mehr sein will als ein Mensch, nämlich Geber statt Empfänger. Wenn er sich schon sein Leben nicht selbst geben kann, so doch wenigstens den Tod. Mit dieser Art der Selbstermächtigung verrät der Mensch jedoch seine personale Identität, da er jene Dimension seines Menschseins untergräbt, die das passiv-rezeptive Offensein des Menschen für das ihm Gegebene und das ihn noch Erwartende ausmacht.

Die Selbstinstrumentalisierung des Menschen im Suizid

In Bezug auf das Verhältnis der Person zu ihrem Leben legt die Selbsttötung noch etwas anderes offen, insbesondere dann, wenn sie auf bewusst getroffenen Abwägungen hinsichtlich der Frage nach dem ‚Wert‘ des Weiterlebens gründet.[89] Zu den Kategorien von „Wert“ und „Unwert“ bemerkt Spaemann, dass sich diese überhaupt nur unter Voraussetzung des Lebens selbst anwenden lassen, weshalb sie nicht für das Leben als solches gelten können.[90] Wo dieser Zusammenhang nicht berücksichtigt wird, scheint das eingetreten zu sein, was mit Heideggers Begriff der „Seinsvergessenheit“ ausgedrückt wird.[91] Dieser stehe, Spaemann zufolge, für eine Haltung, „derzufolge das, was die Welt kostbar macht, nicht im Sein von Menschen, Tieren oder Pflanzen erblickt wird, sondern in bestimmten Zuständen des Seins“ und folglich auch im Menschen „nur insoweit, als er jeweils Träger solcher Zustände ist.“[92] Besteht die Kostbarkeit menschlichen Lebens jedoch nur noch im Vorhandensein bestimmter qualitativer Zustände, dann wird es zur zentralen Lebensaufgabe des Menschen, diese Zustände herzustellen und zu erhalten.[93] Der Mensch lebt dann nur noch dieser Zustände wegen, woraus sich die logische Konsequenz ergibt, dass auch sein Tod in Abhängigkeit von der Qualität der noch erwartbaren Zustände entweder als Übel oder als ein Gut bewertet wird. Gelangt eine Person in ihrem Leben an einen Punkt, an dem sie, beispielsweise aufgrund von Krankheit, sozialer Vereinsamung, seelischem Leiden oder Lebensüberdruss, sich nicht weiter in der Lage sieht, die entsprechenden wünschenswerten qualitativen Zustände herzustellen, bleibt ihr die Möglichkeit das Erleiden unerwünschter Zustände dadurch zu verhindern, dass sie sich selbst als den Träger dieser Zustände vernichtet. Es bleibt die Möglichkeit des Suizids. Vor diesem Hintergrund wird der Suizid dann zu jenem „Akt der Selbstvergessenheit, mit welchem ein Mensch dokumentiert, dass er sich selbst nur noch als Mittel zur Erreichung oder Erhaltung wünschenswerter Zustände versteht – als Mittel, das sich, wenn es denn versagt, selbst beiseiteräumt.“[94]

Der Mensch, der sein Leben und damit sich selbst nur noch als bloßes Mittel versteht, bezeugt damit seine gelebte Vergessenheit gegenüber der Kostbarkeit personalen Lebens als solchem, eines Lebens, das sich nicht in der Erfüllung bestimmter vitaler Bedürfnisse erschöpft, sondern das darüber hinaus offen ist für die Dimension des Sinns. Zwar können Menschen nicht daran gehindert werden, eine solche reduktionistische Sicht auf sich selbst einzunehmen, doch diese Perspektive missachtet, dass das Verhältnis des Menschen zu seinem Leben eben keinen rein instrumentellen Charakter hat.[95]

Hier liegt ein wesentlicher Unterschied, der das menschliche vom tierischen Sein trennt. Tiere sind, da sie allem Anschein nach nicht in Differenz zu ihrem eigenen Leben stehen können, gefangen in sich selbst und folglich beständig darauf ausgerichtet, gewisse überlebensdienliche Zustände zu erreichen und zu erhalten.[96] Im Gegenteil dazu bedeutet Menschsein die Fähigkeit, sich selbst zu übersteigen, Fähigkeit zur Selbsttranszendenz, welche von Spaemann als die „Überschreitung der vitalen Ichzentriertheit“[97] bezeichnet wird. Menschen vermögen es, Ziele zu verfolgen, die mit ihrem eigenem Überlebensinteresse in Konflikt stehen oder ihm sogar widersprechen. Ein Arzt etwa kann es sich zur Lebensaufgabe machen, Menschen mit hochansteckenden, lebensgefährlichen Krankheiten zu heilen, und er tut dies in dem Wissen, dass er im Falle einer Ansteckung selbst Schäden davontragen, vielleicht sogar sein Leben verlieren kann. Eine Mutter kann sich dafür entscheiden, ihr Kind bis zum Ende der Schwangerschaft auszutragen, auch dann, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft mit enormen Gesundheitsrisiken für sie selbst einhergeht.

Allen Sicherheitsüberlegungen zum Trotz können Menschen ihr Leben für etwas riskieren, das ihnen wichtiger erscheint als die Bewahrung ihres eigenen Seins. Gerade deshalb kann der ‚Wert‘ des Lebens für den Menschen in der Erfüllung bloßer überlebensdienlicher Bedürfnisse gar nicht sinnvoll gemessen werden. Menschsein bedeutet, sagen zu können: ‚Dafür lebe ich. Dafür bin ich bereit, zu sterben.‘ Und diese Fähigkeit liegt gerade darin begründet, dass die Person sich zu ihrem eigenen Leben verhält, weil sie ihr Leben nicht einfachhin ist, sondern als etwas Gegebenes hat.

Zwar ließe sich einwenden, dass auch die suizidwillige Person bereit ist, ‚ihr Leben zu riskieren‘, aber sie tut dies am Ende nicht, weil sie ihr Leben für etwas einsetzen will, das ihr wichtiger erscheint als sie selbst, sondern vielmehr vernichtet sie ihr Leben, weil ihr alles mit dem Leben in Verbindung Stehende für so unwichtig erscheint, dass sie ihr Leben gänzlich aufgibt. Keine andere Handlung bringt so sehr eine Ablehnung des Lebens zum Ausdruck wie der Suizid. Aus diesem Grund schreibt Chesterton, dass der Mensch, der sich selbst tötet, symbolisch gesprochen, „die ganze Welt“ zerstöre, weil er sich weigere, „Interesse am Dasein zu nehmen“ und den „Treueeid auf das Leben zu leisten.“[98]

Die Selbsttötung macht daher deutlich, dass der betroffene Mensch sich von seinem eigenen Sein zutiefst entfremdet hat. Diese Fremdheit tritt gerade dann ein, wenn ein Mensch sich nicht mehr zu seinem eigenen Leben verhalten kann, zu dem wesentlich auch die Dimension des Unverfügbaren, insbesondere die des Leidens und schließlich auch die des Todes gehören.[99] Landsberg argumentiert, dass die Auffassung, der Suizid könne als adäquates Mittel im Kampf gegen das Leid begriffen werden, letztlich auf der Illusion gründe, das Leiden selbst abschaffen zu können.[100] Die Selbsttötung dokumentiert, dass das Leiden nicht bekämpft, sondern gänzlich zum Verschwinden gebracht werden soll, und zwar, indem der Mensch sich dem Leiden letztlich entzieht. Auch wenn der Mensch das Recht und die Pflicht hat, Leiden zu bekämpfen, so ist die ins Extrem gesteigerte Flucht vor dem Leiden am Ende immer zugleich eine Flucht vor dem Leben.[101] Die Selbsttötung ist die auf Dauer logische Konsequenz, wenn ein Mensch sich nicht im Stande sieht, sich auch in Situationen großen Leids weiter zu seinem Leben zu verhalten. Diese Unfähigkeit wird verstärkt, wenn das Leiden selbst nicht als wesentlicher Bestandteil des Lebens akzeptiert wird und der Mensch sein Leben nur unter der Perspektive vitaler Bedeutsamkeit und damit als nicht-personales Leben begreift.

Einen wesentlichen Einfluss auf das Vermögen oder Unvermögen eines Menschen, sein Leben auch angesichts von Krankheit und anderen Leiden weiter bejahen zu können, üben die Menschen in seinem sozialen Umfeld sowie die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen aus. Gerade in sehr schweren Lebenslagen braucht der Leidende andere Menschen zum Gegenüber, die ihm versichern, dass es gut ist, dass er lebt und die gemeinsam mit ihm darauf vertrauen, dass sein Leben den Sinn nicht verlieren kann.[102]

Auf der Ebene der Person ist der Suizid nicht nur ein „Nein auf die Sinnfrage[103], sondern mit ihm verkehrt sich das Sterben des Menschen in einen Akt, der zugleich Selbstermächtigung als auch Zurückweisung des Lebens bedeutet. Da nur der, der sein Leben nicht hat, es sich nehmen wird, das Sein der Person aber im Haben ihres Lebens besteht, kann die Selbsttötung gerade nicht als das Paradigma personalen Sterbens begriffen werden.[104]

5. Schlussbemerkung

Eine Sicht, die im Tod des Menschen ein bloßes Widerfahrnis sieht, greift zu kurz und bleibt daher notwendig defizitär. Aufgrund der personalen Struktur ihres Seins sind Menschen fähig, sich zu allem, was ihnen widerfährt, aktiv zu verhalten. Möglich ist dies vor allem deshalb, weil Menschen ihr Leben nicht einfachhin sind, sondern dieses im Sinne einer anthropologischen Konstante für die Dauer ihrer Existenz fortwährend als Gabe empfangen.

Weder die Ausnahmslosigkeit des Sterbenmüssens noch der plötzliche, unvorhergesehene Tod zwingen den Menschen zu einer vollständigen Passivität. Indem der Mensch um seinen bevorstehenden Tod weiß, vermag er es, selbst dem Unausweichlichen gegenüber Stellung zu beziehen und sich zu diesem zu verhalten. Das Bewusstwerden von der radikalen Unabwendbarkeit des Todes geschieht dabei sowohl in der gedanklichen Vorwegnahme seines eigenen Todes als auch im Miterleben des Sterbens geliebter Menschen.

Die prinzipielle Fähigkeit des Menschen, sich als Person zu seinem eigenen Leben und Sterben derart in Beziehung zu setzen, ermöglicht ihm, das Widerfahrnis des Todes in einen personalen Akt der Hingabe zu verwandeln. Sterben als Akt ist Vollzug des Widerfahrnisses, aktives Tun des passiv Erlittenen. Indem der Mensch loslässt, was von ihm gefordert wird, gibt, was von ihm genommen wird, ist er im Stande, den Tod als einen Akt der Hingabe seines Lebens und damit seiner selbst zu vollziehen.

Der an sich naheliegende Gedanke, den Suizid als eine weitere Weise betrachten zu können, dem Widerfahrnis des Todes als Person aktiv zu begegnen, lässt Entscheidendes außer Acht. Eine Analyse des Suizids als Handlung zeigt, dass der Mensch, der sich selbst tötet, gerade keinen personalen ‚vollmenschlichen‘ Tod stirbt. Das selbstermächtigende Handeln, das notwendigerweise in jeder Selbsttötung enthalten ist und mit der das Leben als Gabe zurückgewiesen wird, führt zu einer radikalen Aufspaltung der Person und untergräbt somit die spezifische Struktur menschlichen Seins. Durch die Selbstaufspaltung der Person, bei welcher der aktive Teil den passiven Teil tötet und anschließend mit ihm zugrunde geht, wird das für ein personales Sterben charakteristische Ineinandertreten von Aktivität und Passivität, Akt und Widerfahrnis gerade nicht verwirklicht. Darüber hinaus legt die Selbstinstrumentalisierung des Menschen im Suizid das reduktionistische Selbstverhältnis einer Person offen, die ihr eigenes Sein nicht mehr als in sich sinnvoll und kostbar wertschätzt, sondern nur noch oder zumindest vorrangig unter der Perspektive bloßer Zwecküberlegungen zu betrachten vermag.

Das eigene Leben ‚ganz‘ zu leben und den eigenen Tod ‚ganz‘ zu sterben, bedeutet für den Menschen, sich bis zuletzt dem Leben in allen seinen freud- wie leidvollen Dimensionen nicht zu verschließen und das Sterben als einen Akt der Hingabe zu begreifen, in welchem der Mensch das im Tod Genommene selbst geben kann, nämlich das eigene Leben und damit sich selbst. Gerade in diesem Akt der Hingabe gründet das Paradigma personalen Sterbens. Denn indem der Mensch dem Widerfahrnis des Todes erleidend begegnet und in dieser Begegnung gibt, was er bis zum Tod dankend als Gabe empfangen hat, legt er Zeugnis ab über sein eigenes Sein als Person.

  1. Zu verweisen ist hier im Besonderen auf das Kapitel „Tod und Futurum exactum“ in Robert Spaemanns Werk „Personen – Versuche über den Unterschied zwischen ‚etwas‘ und ‚jemand‘“ (Klett-Cotta, Stuttgart 1996).

  2. Aristoteles, De anima, II, 4, 415b 13.

  3. Vgl. Spaemann, Personen, 11, 40, 52, 79, 132.

  4. Ebd., 125.

  5. Vgl. ebd., 23.

  6. Vgl. ebd., 23, 125.

  7. Ebd., 168.

  8. Vgl. ebd., 81.

  9. Vgl. ebd., 132.

  10. Ebd.

  11. Ebd.

  12. Ebd., 117, 168.

  13. Vgl. Bernhard N. Schumacher, „Suicide et qualité de vie“, in: Le Suicide, Regards croisés, hrsg. von Francois-Xavier Putallaz, Bernhard N. Schumacher, Les Éditions du Cerf, Paris 2019, 115-134. Der Gedanke, dass die Person durch einen natürlichen – den bloßen Überlebensinstinkt transzendierenden – Willen, der auf die Fortsetzung ihres Seins gerichtet ist, charakterisiert werden kann, wird von Schumacher ausführlich ausgearbeitet und in Verbindung mit weiteren anthropologischen Überlegungen zum Suizid diskutiert.

  14. Spaemann, Personen, 132.

  15. Vgl. ebd.

  16. Rainer Maria Rilke, 8. Duineser Elegie, 1922.

  17. Vgl. Spaemann, Personen, 168.

  18. Vgl. ebd., 132f.

  19. Bibel EU 2016, Ps 90,12.

  20. Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Max Niemeyer, Tübingen 192006 [1927], 188, 262f., 266, 306f.

  21. Vgl. Stephan Kampowski, Embracing Our Finitude, Exercises in a Christian Anthropology between Dependence and Gratitude, Cascade Books, Eugene 2018, xii. Kampowski weist darauf hin, dass das Geboren-Sein des Menschen im Ausdruck der Geburt als das zweite ‚Ende‘ des Lebens auch im Denken Heideggers bereits Erwähnung findet. Der „Tod ist […] nur das eine Ende, das die Daseinsganzheit umschließt. Das andere ‚Ende‘ aber ist der ‚Anfang‘, die ‚Geburt‘“ (Heidegger, Sein und Zeit, 373).

  22. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, hrsg. von Thomas Meyer, Piper, München 2020 [1958], 352.

  23. Hannah Arendt, Vom Leben des Geistes, hrsg. von Mary McCarthy, Piper, München 1998 [1978], 343.

  24. Kampowski, Embracing Our Finitude, xii: “The ‘natals’ do not primarily live toward death but from birth“ (eigene Übersetzung). Kampowski verweist in diesem Zusammenhang auf eine Stelle in Arendts Schrift The Life of the Mind (Hartcourt Brace Jovanovich, New York 1978, 109), in der Arendt in Auseinandersetzung mit dem augustinischen Willensbegriff den Vorschlag präsentiert, ‚die Menschen nicht wie die Griechen als Sterbliche, sondern als ‚Geborene‘‘ zu definieren (eigene Übersetzung).

  25. Kampowski, Embracing Our Finitude, xiii: “[I]t is particularly birth that tells us that we are not alone. We are inserted into a family and hence into a lineage: we have a father and a mother, grandparents and great-grandparents. We come from others” (eigene Übersetzung).

  26. Hannah Arendt, Mary McCarthy, Im Vertrauen: Briefwechsel 1949-1975, Piper, München 2020, 479-480.

  27. Augustinus, Confessiones, I 20,31: „[U]t sim tu dedisti mihi” (eigene Übersetzung).

  28. Hannah Arendt, The Human Condition, University of Chicago Press, Chicago 1958, 2f: „Human existence as it has been given [is] a free gift from nowhere (secularly speaking)“ (eigene Übersetzung). Diese Aussage ist nicht in der deutschsprachigen Version von Arendts Buch enthalten.

  29. Josef Pieper, Tod und Unsterblichkeit, Kösel, München 1979, 23.

  30. Epikur, Von der Überwindung der Furcht, übertr. von Olof Gigon, Artemis, Zürich 1949, 45.

  31. Dietrich von Hildebrand, Über den Tod, EOS, Sankt Ottilien 1980, 10.

  32. Vgl. Paul Ludwig Landsberg, Die Erfahrung des Todes, Matthes & Seitz, Berlin 2009 [1935], 38-40.

  33. Vgl. ebd., 41 f.

  34. Vgl. ebd., 44.

  35. Spaemann, Personen, 123.

  36. Vgl. ebd., 123.

  37. Spaemann bedient sich der linguistischen Argumentationsfigur des Futurum exaktum, um grundlegende Aspekte des menschlichen Verhältnis zum Leben und Tod herauszustellen. Menschen wissen nicht bloß um den Tod, sondern sie wissen den Tod, und zwar aufgrund der besonderen Struktur ihres personalen Bewusstseins, das die Dimension des Futurum exaktum enthält und welches so die Antizipation des „Gewesensein-werdens“ ermöglicht (vgl. ebd., 123).

  38. Ebd., 127f.

  39. Vgl. Spaemann, “Death – suicide – euthanasia”, in: The dignity of the dying person: proceedings of the fifth assembly of Pontifical Academy for Life, Città del Vaticano 2000a, Libr. Ed. Vaticana, 123-131, 123: “For us, as living beings, the things we encounter have a biological relevance in so far as they correspond to certain vital needs. […] But this relevance lasts only as long as the corresponding need lasts”.

  40. Spaemann, Personen, 127.

  41. Ebd.

  42. Ebd., 131.

  43. Ebd., 171.

  44. Ebd., 130f.

  45. Vgl. ebd., 130.

  46. Vgl. ebd., 131.

  47. Ebd., 128.

  48. Ebd., 21.

  49. Vgl. ebd., 212.

  50. Gemäß dem ‚Total-Pain-Konzept‘ (Cicely Saunders) wird ein Mensch durch ein Leiden, beispielsweise durch einen starken physischen Schmerz, auf einer bio-psycho-sozio-(spirituellen) Ebene beeinträchtigt. Damit ist ausgesagt, dass der Mensch stets als ‚ganzer‘ Mensch leidet. Die Beeinträchtigung seiner Vitalität sowie seiner physischen, psychischen und sozialen Funktionen bedeutet aber nicht, dass der Mensch ‚weniger‘ Mensch wäre, sondern die Fähigkeit, oder vielmehr noch Notwendigkeit, zu leiden, gehört wesentlich zur Menschlichkeit des Menschen dazu.

  51. Vgl. Spaemann, Personen, 132.

  52. Vgl. ebd.

  53. Ebd.

  54. Ebd.

  55. Ebd.

  56. Vgl. ebd.; vgl. Arendt, McCarthy, Between friends, 307: “[O]ne could look upon one’s whole life as a being-given and being-taken away”.

  57. Pieper, Tod und Unsterblichkeit, 128.

  58. Ebd., 131.

  59. Vgl. ebd., 145.

  60. Vgl. ebd., 141. Pieper nennt in diesem Zusammenhang beispielhaft den Tod eines Menschen im Rahmen eines Explosionsunglücks, eines Bombenangriffs oder eines Flugzeugabsturzes.

  61. Vgl. ebd., 143.

  62. Vgl. ebd., 141-145.

  63. Vgl. Spaemann, Personen, 131, 133.

  64. Ebd., 132.

  65. Ebd., 131.

  66. Ebd., 133.

  67. Vgl. Andreas Trampota, „Guter Tod, schlechter Tod? Das Sterben und die Frage nach dem guten Leben“, in: Mors – Tod und Totengedenken in den Oberpfälzer Klöstern, hrsg. von Georg Schrott, Christian Malzer, Laßleben, Kallmünz 2019, 23-30, 27.

  68. Thomas Fuchs, „Euthanasie und Suizidbeihilfe. Das Beispiel der Niederlande und die Ethik des Sterbens“, in: Töten oder sterben lassen? Worum es in der Euthanasiedebatte geht, hrsg. von Robert Spaemann, Thomas Fuchs, Herder, Freiburg 21997, 31-108, 102.

  69. Arendt, The Human Condition, 2.

  70. Hier ist anzumerken, dass der Tod für den Menschen zwar das Ende seines ‚irdischen‘ Lebens bedeutet, dass damit aber noch nicht gesagt ist, dass der Tod für ihn auch das Ende schlechthin ist. So gründet etwa der christliche Auferstehungsglaube auf der Hoffnung, dass im Tod dem Menschen das Leben gerade nicht ‚genommen‘, sondern ‚gewandelt‘ wird: „Denn deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen“ (Präfation von den Verstorbenen I).

  71. Spaemann, Personen, 133.

  72. Im deutschsprachigen Raum sind neben dem aus dem Lateinischen stammenden Begriff des Suizids drei weitere Begriffe geläufig, um die Handlung zu benennen, durch die ein Mensch sich freiwillig das Leben nimmt. Während die Begriffe ‚Selbstmord‘ und ‚Freitod‘ gemeinhin als stärker wertend wahrgenommen werden, können die Begriffe ‚Suizid‘ (aus ‚sui‘ und ‚caedes‘: ‚Tötung seiner selbst‘) und ‚Selbsttötung‘ weitgehend synonym gebraucht werden. Letztere sind daher auch jene Begriffe, die in dieser Arbeit Verwendung finden. Dabei liegt der Vorteil des Begriffs des ‚Suizids‘ in seiner internationalen Verständlichkeit, während der Begriff der ‚Selbsttötung‘ die ethische Dimension der bezeichneten Handlung klarer aussagt.

  73. Vgl. Paul Ludwig Landsberg, Das moralische Problem der Selbsttötung, Matthes & Seitz, Berlin 2017 [1946], 16: „Der Suizid ist keine Todesart, sondern eine menschliche Handlung“.

  74. Ebd., 18.

  75. Vgl. ebd., 15-18.

  76. Ebd., 17.

  77. Vgl. Hadjadj, „Qu’est-ce qu’un suicide? Essai de définition de l’indicible“, in: Le Suicide. Regards croisés, hrsg. von Francois-Xavier Putallaz, Bernhard N. Schumacher, Les Éditions du Cerf, Paris 2019, 15-30, 24.

  78. Diese Haltung gilt im Übrigen auch in anderen Handlungskontexten. Auch ein Dieb hat Gründe, um den Ladendiebstahl zu begehen, ein Mörder, um sein Opfer zu töten, ein Attentäter, um das Attentat auszuführen. Sowohl den Diebstahl und noch mehr den Mord und das Attentat bezeichnen wir gemeinhin als Verbrechen, die es abzulehnen und zu verurteilen gilt. Um jedoch ein Urteil über den sich schuldig gemachten Menschen als solchen treffen zu können, wäre die Einnahme einer Innenperspektive notwendig, die uns Menschen nur in Bezug auf unsere eigene Person gegeben ist. Als Personen sind wir in jeder unseren Handlungen ‚präsent‘, aber wir gehen nicht in unauflöslicher Verschmelzung in ihnen auf; wir können in Distanz zu ihnen stehen (vgl. Spaemann, Personen, 70f). Diese innere Distanznahme, die ein Mensch zu seinen eigenen Handlungen bewusst vollziehen kann und durch die erst Reue möglich wird, ist wesentlicher Grund dafür, warum das Urteil über die Handlung einer Person mit dem Urteil über die Person als solche nicht gleichgesetzt werden kann.

  79. Nach Jouffroy: „Suicide est un mot mal fait; ce qui tue n’est pas identique à ce qui est tué“, zitiert nach der Übersetzung von Macho in: Thomas Macho, Das Leben nehmen, Suizid in der Moderne, Suhrkamp, Berlin 22017, 16.

  80. Spaemann, Personen, 132.

  81. Vgl. ebd.

  82. Macho, Das Leben nehmen, 16.

  83. Ebd., 8.

  84. Vgl. Spaemann, “Death – suicide – euthanasia”, 124: „[Suicide] splits the human being into an acting, i. e. killing, part and a passive part which gets eliminated and drags the one acting along with it into this extinction” (eigene Übersetzung).

  85. Vgl. Pieper, Tod und Unsterblichkeit, 121: „[D]as eigentliche Ereignis des Sterbens ‚begegnet‘ ihm [dem Suizidenten, Anm. d. Verf.] – vielleicht erst einen unendlichen Augenblick nach dem tödlichen Schuß. Und der Tod, obwohl man sagt, er ‚gebe‘ ihn sich selbst, ‚überkommt‘ auch ihn“. Der Gedanke, dass ein Mensch, der sich selbst tötet, sich den Tod gibt, muss dahingehend geklärt werden, dass es sich hierbei um ein Herbeiführen des eigenen Todes handelt. Der Mensch kann sein eigenes Sterben in Gang setzen, aber nachdem er dies getan hat, steht auch er dem Tod passiv-erwartend gegenüber.

  86. Vgl. Spaemann, “Death – suicide – euthanasia”, 124: „[Suicide] does not manage to change the radical passivity of death into an act, but it does try to escape this passivity.”

  87. Landsberg, Das moralische Problem der Selbsttötung, 33.

  88. Vgl. Kierkegaard: „Hat ein Mensch das Recht, seinen eigenen Untergang zu wollen? Nein! Warum nicht? Weil so etwas entweder seinen Grund in Lebensekel hat – und dann soll er die Güte haben, ihn zu bekämpfen. Oder es ist, mehr sein zu wollen als ein Mensch“, zitiert nach: Romano Guardini, Vom Sinn der Schwermut, Topos plus, Kevelaer 102010 [1949], 18f.

  89. Hierbei ist im Besonderen auf das Konzept des Bilanzsuizids zu verweisen, welches die illusorische Grundannahme enthält, dass sich über das Leben als Ganzes eine Art Bilanz ziehen ließe und Tod und Leben vom Menschen als zwei gegeneinander abzuwägende Güter behandelt werden könnten (vgl. Spaemann, Personen, 125).

  90. Vgl. Spaemann, „Die Vernünftigkeit eines Tabus“, in: Guter schneller Tod? Von der Kunst, menschenwürdig zu sterben, hrsg. von Robert Spaemann, Bernd Wannenwetsch, Brunnen, Gießen 2013, 9-40, 17.

  91. Vgl. ebd., 16.

  92. Ebd.

  93. Vgl. ebd., 17f.

  94. Ebd., 20f.

  95. Vgl. ebd., 21.

  96. Vgl. Spaemann, Personen, 124.

  97. Ebd., 248.

  98. Gilbert Keith Chesterton, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen, hrsg. von Hans Magnus Enzensberger, Fe-Medien, Kißlegg 22015 [1908], 146f.

  99. Vgl. Trampota, „Guter Tod, schlechter Tod?“, 27.

  100. Vgl. Landsberg, Das moralische Problem der Selbsttötung, 42.

  101. Vgl. Josef Ratzinger, Eschatologie. Tod und ewiges Leben, Pustet, Regensburg 22012, 89.

  102. Vgl. Fuchs, „Euthanasie und Suizidbeihilfe“, 103f.

  103. Viktor Frankl, Die Sinnfrage in der Psychotherapie, Piper, München 1992, 22.

  104. Spaemann, Personen, 132.